Tausche Diktiergerät gegen … Besen!
...Und ich werde Putzfrau. Oder wie man hier auch sagt – „Reinigungskraft“ oder „Raumpflegerin“. Jedochist es egal, wie man sie nennt, das Wesen dieses Berufs bleibt unverändert. Besen, Waschtuch sowie ein Eimer mit Wasser werden in die Hände gereicht - was braucht man da noch? Ach ja, die Berufsuniform, also einen verblassten Arbeitsmantel wie bei der Lehrerin in der Schule, die technisches Werken unterrichtet hat, oder etwas Moderneres in Form einer Schürze wie bei der Supermarktputzfrau. Ist das erledigt geht es ran an die Arbeit. Die Devise lautet: „Bekämpfe Staub und Spinnennetze!“
Somit beschloss auch ichin den Kampf für Sauberkeit zu ziehen. Anders hätte ich nicht alle Feinheiten dieser Arbeit verstanden, mit welcher – wollen wir es nicht verleugnen - viele unsere Landsleute ihren Berufsweg in Österreich beginnen.
Möchten Sie putzen? Stellen Sie sich an!
Die Fülle von Stellenangeboten in den Zeitungen verstärkte meinen Glauben an einen Bewerbungsweg ohne große Schwierigkeiten. Natürlich hätte ich meinem potenziellen Arbeitgeber nicht verraten, dass ich diesen Job nur für einen kurzen Zeitraum brauche, sonst hätte mich keiner angestellt.Den Weg wieder herauszukommensuchte ich erst nachdem ich diese Reportage fertiggeschrieben hatte.Dass der Weg bis zur Vollendung ein langer werden würde wurde mir erst nach dem fünften oder zehnten Telefonanruf bewusst. Alle erfolglos. Andererseits weiß ich jetzt wenigstens was der Satz „Wir suchen eine Putzfrau mit Deutschkenntnissen“ heißt. In diesem Zusammenhang meinen die Österreicher, dass man ihren Dialekt sprechen sollte. Leider verstehe ich den Vorarlberger Dialekt noch heute nicht. Die meisten Damen, die nach einer Putzfrau suchten und mein Hochdeutsch hörten, legten nach einem schnellen „Danke, haben schon gefunden“ wieder auf. Mit den Herren war es ein wenig einfacher.
„Mögen Sie langhaarige Hunde?“ war der erste Satz, den mir eine angenehme männliche Stimme am anderen Ende stellte. Habe ich die Nummer falsch gewählt? Nein, in jenem Haus suchte man wirklich eine Putzfrau. Viele Bewerber hatten sich gemeldet, jedoch traten die potenziellen Putzfrauen zurück, als sie von dem großen Hund im Haus erfuhren.
„Unserem Hund fallen die Haare aus,“ fügte der nette Herr hinzu, „Sie verstehen schon, das sind zusätzliche Sorgen“. Als er hörte, dass ich Hunde sehr gern mochte, fing der Mann an sich für mich zu interessieren und lobte mein gutes Deutsch.
Er versprach sogar mich am nächsten Tag anzurufen um einen Termin für ein Treffen zu verabreden. Tatsächlich hielt er auch wirklich sein Versprechen und rief mich an. Um sich zu entschuldigen. Er meinte, es täte ihm sehr leid, seine Frau habe sich leider für eine andere Kandidatin, nämlich ihre Freundin, entschieden. Sie hatte Beziehungen, wurde also sicherheitshalber genommen. Ich hatte bereits aufgegeben. Die Zeitungen mit den Anzeigen landetenim Mülleimer.Es war sinnlos, eine reine Zeitverschwendung. Ich musste auch von einem Österreicher angestellt werden, der mich kannte. Noch am selben Abend wurden alle Verwandten meines Mannes informiert, dass ich einen Job als Putzfrau suchte. Diese waren zwar verwundert, sagten aber taktvoll nichts dazu. Die Hilfe kam mehrere Monate später, als ich es gar nicht mehr erwartet hätte.
Jetzt bin ich auch „durch die Hintertür“ gegangen!
Meine Schwägerin Sabine, die in einer Behörde als Putzfrau tätig war, erinnerte sich an meine Bitte und rief mich an, um vorzuschlagen für drei Wochen ihre Arbeitskollegin zu ersetzen, die im Urlaub war. Ich muss gestehen dieser Anruf passte überhaupt nicht in meinen Zeitplan. Ich war gerade dabei mein Deutsch am WIFI zu verbessern. Das Lernen verbrauchte viel Kraft und Zeit. Dennoch sagte ich zu und mein Berufsleben als Putzfrau begann.
Das Gebäude, in dem ich die ordnungsgemäß europäische Sauberkeit pflegen musste, stellte sich als ein Eigentum der katholischen Kirche eines Dorfes in Vorarlberg heraus. Dort waren ein Sekretariat und ein ziemlich mondänes Freizeitzentrum, das wegen der hohen Nachfrage einen guten Gewinn einbrachte. Das Zentrum war für festliche Veranstaltungen und aktiven Zeitvertrieb bestimmt, geeignet für Menschen jeder Altersstufe, unabhängig vom Religionsbekenntnis.
"Schade, dass ich mein Diktiergerät nicht mitgenommen habe. Ein Schreibblock hätte es auch getan“, dachte ich nach Sabines Schulung. Alles war fremd. Nur durch Zufall hätte ich dort nichts geschafft.
Den Parkettboden hätte man völlig kaputt machen können, wenn man es mit Waschbeckenreiniger putzt. Mit der Zeit lernte ich die Putzmittel nach Geruch und Farbe zu unterscheiden. Die ganzen Flüssigkeiten wurden in der Putzkammer aufbewahrt. Die Kammer befand sich an einem eher seltsamen Platz. Der Ort, an dem ich mich in diesem Gebäude am längsten aufhieltwar die Herrentoilette. Ich weiß nicht woran Frau Architektin dachte, als sie dieses Gebäude plante und die Arbeitsräume der Putzfrauen am Männerklo positionierte. So wie es aussieht, dachte sie an globale Probleme der Emanzipation. Auch eine Statistik, die besagt, dass 97% aller Reinigungskräfte Frauen sind, ließen sie nicht davon abhalten einen geeigneteren Platz für die Putzkammer zu finden. Und da die restlichen 3% nicht dazugekommen sind, schlängelten wir uns täglich auf eine absurde Art und Weise zu unserem Arbeitsraum durch und schickten dem Konstrukteur dieser wahnsinnigen Ideegedanklich viele Grüße.
Fast wie Fitness
Was mich besonders freute war der Putzwagen. Nicht weil alles Notwendige hineinpasste und man sich nicht anstrengen musste, wenn man die Eimer mit Wasser trug. Im obersten Fach des Schiebewagens befanden sich neben den Reinigungsflakons meine Zettel mit Deutschvokabeln, die ich für die nächsten Stunden im Institut lernen musste. Ich lernte sie auswendig als ich den Boden im Saal schrubbte. Wahrscheinlich war die Beschäftigung deswegen nicht langweilig, obwohl ich Putzen nie besonders gern hatte. So kehrte ich den Boden und bereitete den Saal für den Pilatesunterricht vor.
Sabine machte Witze und meinte, das wäre ja fast wie Fitness. Sogar noch besser, denken wir beide, denn für die Arbeit wurden wir auch noch bezahlt. Neun Euro pro Stunde. Bis zur Kaffeepause machten wir alles schnell fertig. Sabine gab zu, dass sie Kaffee gar nicht so mochte, aber sie wollte den anderen am Tisch mit ihrer Anwesenheit beweisen, dass Putzfrauen genauso zur Gemeinschaft gehören. Ich fand diesen Grund überzeugend und beteiligte mich ebenfalls an der Kaffee-Zeremonie, die im Kabinett des Pfarrers stattfand. Ich trinke auch lieber Tee.
Den Pfarrer nannten alle beim Namen. Er hieß Martin und war über 60 Jahre alt. An unserem Tisch war er die einzig geistliche Person, alle anderen waren einfache Angestellte: Martin, Leiter des Sekretariats (und Sabines Ehemann), Renate, die Schwester des Pfarrers und Hausverwalterin, die zwei Zivildiener Berni und Dieter, ebenso wie fünf bis sechs Leute, die für finanzielle Fragen, Jugendfragen und sonstiges zuständig waren.
Das war eine Feier!
Die Zeit verging wie im Flug! Die Besucher des Pilatesunterrichts, die das gesunde Leben lieben, waren noch gar nicht fertig mit dem Training, als aus dem Saal die rhythmischen Bewegungen der Stöckelschuhe zu hören waren. Am Abend trafen sich fünf legendäre ältere Frauen, die sich schon seit 23 Jahren zum Kartenspielen verabreden. „Jassen“ hat in Vorarlberg eine lange Tradition.
Das Freizeitzentrum beweist sein Motto „Wir sind für alle!“. Leute kommen hierher in Leid, in Freude oder in höchster Not. Unter den Besuchern gibt es einige, die alles verloren haben, und hoffen dort Hilfe zu bekommen. Verwandte, Freunde, Kollegen werden eingeladen, um gemeinsam die Freude eines Jubiläums, einer Taufe oder einer Hochzeit zu teilen. Deswegen hat hier sogar eine Putzfrau immer etwas zu tun. Stellen Sie sich einen Parkettboden vor über dem mehr als eine Fußballmannschaft gelaufen ist, noch dazu sind die Fußballer in ihren Fußballschuhen gelaufen, die im Holz kleine Schlaglöcher und schmutzige Verwischungen hinterlassen, als wären sie mit Nägeln eingeschlagen worden. Durch die Gänge lief eine Menge wilder Fans, die alle ihre Dosen durch die Gegend geworfen haben, und hinter sich unzählige Zigarettenkippen, Plastikgeschirr und sonstigen Müll zurückließen.
Ich kann nicht sagen, dass ich in dieser Zeit anfing die Arbeit zu lieben. Doch ich spürte die Veränderungen nach dieser vorübergehend professionellen Reinkarnation in mir. Erstens fing ich an die Schaufenster der Bäckereien und Geschäfte zu betrachten. Ich sah nicht was ausgestellt war, ich sah nur, wie sie geputzt wurden. Zweitens verbesserte ich meine Muskeln durch regelmäßiges Training. Drittens wurde mein Wortschatz ausgebaut, da ich während der Arbeit neue Vokabeln lernte. Viertens verdiente ich zum ersten Mal nicht durch meinen unmittelbaren Beruf Geld, sondern in einem Job, den wir völlig unverdient an die unterste Ebene der sozialen Hierarchie stellen. Es ist mir nicht peinlich zu sagen, dass ich einmal als Putzfrau gearbeitet habe. Es gibt noch „fünftens“ und „sechstens“, abermein Ehemann unterbrach an dieser Stelle meine Gedanken.
„Liebling, ich glaube, du vernachlässigst das Aufräumen im Haus. Vielleicht lässt du dich vom Text los und machst hier ein bisschen sauber?“
„Ja, sicher, Liebling, ich räume gleich zusammen. Ach ja, wie viel zahlst du eigentlich pro Stunde? Oh entschuldige, das ist mir so rausgerutscht!“